alle gedichte, fotos, bilder und texte auf diesem blog sind von gabriele brunsch / LadyArt erstellt, andere autoren sind besonders genannt. nicht nur das gesetzliche,auch das aus moralischen gründen zu respektierende urheberrecht gilt hier – obgleich nur der zufall das vergehen aufdecken könnte,aber ist die welt nicht voller zufälle -
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GEOCITIES
Donnerstag, 30. Oktober 2014
Heimatstolz
Das Zugabteil ist voller Menschen deren Atem vom schwierigen Verstauen des
Gepäcks nach dem Gedränge beim Einsteigen immer noch gepresst und hastig geht.
Bis auf zwei ältere Frauen, die sich partout nicht setzen wollen, weil sie
schon bei der nächsten Haltestelle wieder aussteigen werden, so sagten sie,
haben alle Reisenden einen Platz gefunden. Manche drängen sich jetzt an die
Fenster um den Zurückgebliebenen zu winken. Ein Mann wischt sich die Augen mit
einem Tuch, der Abschied fällt ihm schwer.
Ich habe einen Fensterplatz. Mir gegenüber hat eine
Mutter mit ihrem kleinen Buben Platz genommen. Die Mutter kramt in der
Handtasche, findet ihr Handy, tippt etwas und starrt auf das Display. Der
Kleine schaut zum Fenster raus.
"Mamaaaa!", beginnt er und schaut mich
dabei mit durchdringendem Blick an, "Mamaaa! Das ist der Hauptbahnhof von
Wien, gell?" Seine Stimme ist klar und einen Tick zu laut.
"Ja!", sagt die Mutter gedankenverloren, blickt vom Display zum Sohn
und zu mir, lächelt und tippt etwas auf die Minitastatur. "Gell, Mamaaa,
wir wohnen in Wien!" Er schaut mich an, hört für Sekunden auf unruhig hin
und her zu rutschen, die Mutter nickt, blickt von ihm zu mir und tippt weiter.
Das Kind schaut kurz aus dem Fenster, der Zug ruckt an und setzt sich langsam
in Bewegung.
"Mamaaaa, gell, wir sind noch immer im Wiener
Hauptbahnhof! Der Zug fährt jetzt aus dem Hauptbahnhof hinaus!" Er sprach
überdeutlich als würde er jede Silbe genießen. "Wien ist die Hauptstadt
von Österreich. Die Hauptstadt! Wir wohnen in Wien, in der Hauptstadt, gell,
Mamaaaa!"
"Ja, Bua, wir wohnen in Wien!"
Aufmunternd vom Handy zu ihm und dann zu mir. "Wir wohnen in der
Josefstadt!", sagt die Mutter und nickt mir zu.
"Wir wohnen in der Josefstadt!", ruft der
Kleine und ruckt nach vorne, als der Zug etwas an Fahrt zunimmt. "Ich bin
in Wien geboren, gell, Mamaaa, ich bin in der Hauptstadt geboren!"
"Ja, jaaa!" "Jetzt machen wir eine Reise zur Tante! Sie ist aber
keine Wienerin, gell Mamaa!" "Nein, sie ist keine Wienerin!"
"Sie ist nicht in Wien geboren!" "Nein, sie ist nicht ...!"
Ich blicke vorsichtig in die Runde, eine der
stehenden Damen fängt meinen Blick auf und verdreht die Augen zur Decke des
Abteils. Die anderen Reisegäste starren stur vor sich hin. Der alte Mann, der
geweint hat, schneuzt sich lautstark. Ich nehme meine Handtasche und verlasse
das Abteil, im Hinausgehen höre ich noch den Kleinen sagen: "Jetzt sind
wir aus Wien draußen, gell Mamaaaa! Jetzt kann man Wien gar nicht mehr sehen!
Aber nächsten Freitag fahren wir wieder nach Wien, gell Mamaaaaa, wir wohnen in
Wien...!" Was die Mutter antwortet höre ich nicht mehr.
Abschiedsschmerz
das Auf und Ab
der kleinen Füße
das Auf und Ab
der kleinen Füße
Labels:haiku, non-haiku
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