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Donnerstag, 30. Oktober 2014

Heimatstolz

Das Zugabteil ist voller Menschen deren Atem vom schwierigen Verstauen des Gepäcks nach dem Gedränge beim Einsteigen immer noch gepresst und hastig geht. Bis auf zwei ältere Frauen, die sich partout nicht setzen wollen, weil sie schon bei der nächsten Haltestelle wieder aussteigen werden, so sagten sie, haben alle Reisenden einen Platz gefunden. Manche drängen sich jetzt an die Fenster um den Zurückgebliebenen zu winken. Ein Mann wischt sich die Augen mit einem Tuch, der Abschied fällt ihm schwer. Ich habe einen Fensterplatz. Mir gegenüber hat eine Mutter mit ihrem kleinen Buben Platz genommen. Die Mutter kramt in der Handtasche, findet ihr Handy, tippt etwas und starrt auf das Display. Der Kleine schaut zum Fenster raus. "Mamaaaa!", beginnt er und schaut mich dabei mit durchdringendem Blick an, "Mamaaa! Das ist der Hauptbahnhof von Wien, gell?" Seine Stimme ist klar und einen Tick zu laut. "Ja!", sagt die Mutter gedankenverloren, blickt vom Display zum Sohn und zu mir, lächelt und tippt etwas auf die Minitastatur. "Gell, Mamaaa, wir wohnen in Wien!" Er schaut mich an, hört für Sekunden auf unruhig hin und her zu rutschen, die Mutter nickt, blickt von ihm zu mir und tippt weiter. Das Kind schaut kurz aus dem Fenster, der Zug ruckt an und setzt sich langsam in Bewegung. "Mamaaaa, gell, wir sind noch immer im Wiener Hauptbahnhof! Der Zug fährt jetzt aus dem Hauptbahnhof hinaus!" Er sprach überdeutlich als würde er jede Silbe genießen. "Wien ist die Hauptstadt von Österreich. Die Hauptstadt! Wir wohnen in Wien, in der Hauptstadt, gell, Mamaaaa!" "Ja, Bua, wir wohnen in Wien!" Aufmunternd vom Handy zu ihm und dann zu mir. "Wir wohnen in der Josefstadt!", sagt die Mutter und nickt mir zu. "Wir wohnen in der Josefstadt!", ruft der Kleine und ruckt nach vorne, als der Zug etwas an Fahrt zunimmt. "Ich bin in Wien geboren, gell, Mamaaa, ich bin in der Hauptstadt geboren!" "Ja, jaaa!" "Jetzt machen wir eine Reise zur Tante! Sie ist aber keine Wienerin, gell Mamaa!" "Nein, sie ist keine Wienerin!" "Sie ist nicht in Wien geboren!" "Nein, sie ist nicht ...!" Ich blicke vorsichtig in die Runde, eine der stehenden Damen fängt meinen Blick auf und verdreht die Augen zur Decke des Abteils. Die anderen Reisegäste starren stur vor sich hin. Der alte Mann, der geweint hat, schneuzt sich lautstark. Ich nehme meine Handtasche und verlasse das Abteil, im Hinausgehen höre ich noch den Kleinen sagen: "Jetzt sind wir aus Wien draußen, gell Mamaaaa! Jetzt kann man Wien gar nicht mehr sehen! Aber nächsten Freitag fahren wir wieder nach Wien, gell Mamaaaaa, wir wohnen in Wien...!" Was die Mutter antwortet höre ich nicht mehr.
Abschiedsschmerz
das Auf und Ab
der kleinen Füße

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