Genau in dem Augenblick, in welchem die Sonne über den Horizont
kroch, sagte der Tag zum Morgengrauen: „Ist ja schon gut!“, und machte
seine Augen ganz auf.
Er lächelte, wie an jedem Morgen. Er würde wieder wunderschön werden. Wie immer.
Er schob eine Nebelbank aus dem Tal. Er würde ein wenig Kühle in die
heißen Städte hauchen. Er würde mit dem Wind auf den Wellen des Sees
spielen. Er würde Kriegsgetöse hören und einen Vulkanausbruch
beobachten. Er würde Licht in die Fenster zu Kindern und Greisen an den
Computern schicken. Er würde die Menschen sehen, wie sie arbeiteten, ein
jeder an seinem Platz und in den Einkaufspassagen würde er den Leuten
beim Eisessen zuschauen.
So würde die Zeit vergehen.
Im Sommer hatte er viel Zeit.
Im Winter eher wenig.
Wenn die Leute sagten: „Das war ein guter Tag!“, durchströmte ihn ein
Glücksgefühl. Nicht, dass er für Klagen und Jammern taub war, nein. Aber
wenn er so etwas hörte, rief er: „Morgen! Morgen wird alles besser!“,
und vertraute ganz auf seine Erfahrung.
Der Tag war ein energiegeladener junger Mann.
An seiner Seite hatte er zwei Wesen, die sich liebevoll um ihn
kümmerten. Die eine hieß Morgengrauen und die andere Dämmerung. Vom Kuss
des Morgengrauens wurde er allmorgendlich geweckt, die andere legte
sich, wenn er müde vom Tagwerk war, zu ihm hin und summte ihn leise in
den Schlaf.
Wie der Tag heute die Menschen so vergnügt in den
sommerlichen Biergärten sitzen sieht, spürt er plötzlich ein sonderbares
Sehnen in seinem Herzen. Warum hatte er denn noch niemals mit
Morgengrauen und Dämmerung gemeinsam einige Stunden verbracht?
Er
wird nachdenklich: Jahraus-jahrein gab er sich den Zärtlichkeiten der
beiden hin. Er hätte niemals sagen können, welche von beiden er mehr
liebte. Beide konnten scheu erröten, wenn er sie ansah. Beiden war
bisweilen die Stirn dunkel überschattet. Beiden war er zutiefst
verbunden.
Als der Tag an diesem Abend der Dämmerung erzählt was ihn
so unzufrieden macht, da runzelt diese die Stirn: „Was du dir nicht
ausdenkst! Du bist und bleibst ein übermütiger Tunichtgut!“ Gleich
kuschelt sie sich eng an ihn und wärmt ihn mit ihrem Körper. Sie lieben
sich. Während sie danach vorsichtig das blau-schwarze Seidentuch über
seine Augen zieht, summt sie noch ein bisschen. Sie weiß, dass er müde
ist. Er wird gleich fest schlafen.
Sobald sie seinen ruhigen Atem
hört, lächelt sie und dreht sich langsam herum. Da liegt die junge,
schöne Nacht und ruht im gleichen Bett. Die Dämmerung schmiegt ihren
Körper an den der Nacht.
„Wach auf, Geliebte!“ , flüstert sie und küsst sie sanft.
Dann vereinigt sich die Dämmerung mit der Nacht.
Schon öffnet die Nacht ihre Augen und der Abendstern und der Mond
beginnen sich in ihnen zu spiegeln. Sie schüttelt ihre
kohlrabenschwarzen Haare und ihr schwarzes Nachtgewand, so gießt sie
schwärzeste Dunkelheit in alle Winkel und Ecken der Welt.
Gleich
blinken überall wo Menschen wohnen Lichter auf, unendliche Perlenstränge
an leuchtenden Spuren durchfluten die Länder und die Städte werden zu
glühenden Flecken.
Die Nacht ist zufrieden, was auch immer sie
sieht, was auch immer geschieht, sie weiß, beim nächsten Mal wird es
wieder ganz anders sein. Gutes folgte auf Schlechtes. Warmes auf Kaltes.
Das ist der Kreislauf der Dinge. Und obwohl sie eine junge Frau ist, so
ist sie doch klug und weise und genießt ihre Schönheit im Spiegel der
Meere.
Sonderbar ist es schon, dass sie am gleichen Biergarten
innehält wie zuvor der Tag und auch sie spürt so ein sehnsuchtsvolles
Ziehen in ihrem Herzen. Da sitzen die Menschen heiter zusammen und
erzählen sich Geschichten. Wie gerne wäre sie mit Morgengrauen und
Dämmerung einmal zusammen gewesen, hätte gemeinsam mit ihnen über ihre
Abenteuer gesprochen. Sie beschließt, mit Morgengrauen zu sprechen.
Als die Nacht, müde geworden, langsam in ihr Bett zurück steigt, liegt
da schon das Morgengrauen mit weit geöffneten Armen. „Komm“, sagt das
Morgengrauen, „Schmiege dich an mich!“. Da vergisst die Nacht von ihrem
Wunsch zu erzählen und lässt sich in den Schlaf wiegen.
Als die
Nacht ruhig atmet, dreht sich das Morgengrauen im Bett herum. Sie wartet
ein kleines Weilchen und beugt sich über den jungen, prachtvollen Tag.
So unschuldig liegt er da. Sie schmiegt ihren Leib an seinen und ihre
Körper verschmelzen miteinander. Dann küsst sie ihn wach.
„Ist ja schon gut!“, ruft er schließlich ungeduldig und löst sich aus der Umarmung.
„Sag mal! Könnten wir nicht mal zusammen einige Zeit verbringen, du,
die Dämmerung und ich. Wir hätten uns so viel zu erzählen!“
„Was du redest!“, ruft lachend das Morgengrauen, „Dämmerung? Wer bitte ist die Dämmerung?“
Was sollte er darauf antworten? Doch da kam die Sonne schon endgültig
über den Berg gekrochen. Der Tag vergaß das Morgengrauen und machte sich
auf die Nebel von den Hängen zu verscheuchen und Licht in alle dunklen
Winkel hinein zu schicken. Er würde heute wieder prachtvoll sein.
Vollkommen! Wenn da nicht dieser kleine sehnsuchtsvolle Schmerz in
seinem Herzen gewesen wäre.
Da wendet er sich der Sonne zu. Diese
schüttelt auf seine Frage hin verwundert den Kopf. „Ach, du dummer Tag!
Morgengrauen, Dämmerung! Du weißt ja gar nichts! Du hast eine junge,
schöne Gegenspielerin! Es ist die Nacht. Wenn du schläfst, herrscht sie
über die Welt und wenn Du dein Tagwerk verrichtest, dann ruht sie!“
„Aber sag, liebe Sonne, kann ich sie nicht kennen lernen?“
Die Sonne sieht ihn sonderbar an. „Was du dir da wünschst, lieber Tag,
das ist schon geplant! Aber es dauert noch lang bis dahin! Du musst
Geduld haben.“
Der Tag blickt der Sonne erwartungsvoll ins Gesicht.
„Am allerletzten deiner Tage, Tag, wird die Erde in mir verglühen. Dann
wirst du gemeinsam mit Morgengrauen und Dämmerung und deiner
wunderschönen Widersacherin Nacht verschmelzen. Das verspreche ich dir!“
Während sie das sagt, macht die Sonne eine Fratze und grinst ihn böse
an.
„Pffff! Sehr mysteriös, das ganze!“, flüstert der Tag und
überlegt sich, ob die Sonne sich vielleicht über ihn lustig gemacht hat.
Er ist verunsichert. Dann erinnert er sich an seine Geliebte, die
Dämmerung, sie müsste doch etwas von der Nacht wissen. Er wird sie am
Abend fragen. Geschäftig legt er sein Licht auf Stadt und Land und
vollbringt sein Tagwerk. Er ist zufrieden.
Als er müde und erschöpft
an diesem Abend an die Seite der Dämmerung sinkt, spürt er ihre innige
Umarmung wie ein heilendes Bad. „Dämmerung, ach, Dämmerung! Wie gut du
mir tust!“, murmelt er und genießt ihre weiche Gegenwart. Matt von der
Liebe sinkt er zurück.
Während seine Lider immer schwerer werden,
flüstert er seiner Dämmerung ins Ohr: „Sag mal, kennst du die Nacht?“
Doch da hat sie schon das blau-schwarze Tuch über ihn gebreitet und
lauscht seinem ruhiger werdenden Atem. Dann wartet sie ein kleines
Weilchen, bevor sie sich umwendet und ihren liebeswarmen Körper eng an
die noch schlummernde Nacht schmiegt: „Wach, auf, Geliebte, es ist
Zeit!“
alle gedichte, fotos, bilder und texte auf diesem blog sind von gabriele brunsch / LadyArt erstellt, andere autoren sind besonders genannt. nicht nur das gesetzliche,auch das aus moralischen gründen zu respektierende urheberrecht gilt hier – obgleich nur der zufall das vergehen aufdecken könnte,aber ist die welt nicht voller zufälle -
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Montag, 10. August 2015
Donnerstag, 6. August 2015
PAUSE
PAUSE
Nein, wir verlieren nicht
die Notwendigkeit etwas zu sagen!
Wir machen nur eine Pause!
Wir verspüren gerade keine Lust
uns in die Menge zu werfen.
Ach, wie schön ist der Rückzug
in die Bibliothek, dorthin,
wo die Schätze stehen,
die lang vernachlässigten,
diejenigen, von denen wir
Morgentau und Sphärenmusik schöpfen konnten,
die uns Hilfe und Nahrung,
Licht und Schatten
gleichzeitig waren,
die niemals still waren,
die uns lockten und verführten,
die uns dorthin entführten,
wo die Fantasie spazierte,
lang, lang bevor uns die Welt regierte,
regierte, regierte, regierte,
malträtierte, zerschmetterte, zerschlug,
uns unsre zarten Bänder aus den Banden schnitt,
hier wo ich litt... ich litt...
Wir sind der Wachmann
unserer eignen kläglich hergezerrten Zeit.
Lass andre rasseln, lass sie lärmen.
Nichts geht ein Stückchen, ach,
nichts geht ein Stückchen weit.
Sind sie nicht gnädig
diese endlos schönen Stunden,
in denen wir ein Wort,
ein kleines Wort gefunden,
das unsre kleine Welt beschreibt.
So wen’ge Worte wiegen, haben Wert.
Die Pause hat der Himmel uns geschickt,
die Wörter stehen grade, unversehrt,
wohin auch immer unser Auge blickt,
sie stehen da, die Wörter, unverrückt.
Und wenn die Zeit
sich an der Zeiten Wende machte,
(verzeih mir Freund, ich weiß, der Reim er klemmt),
doch leider, als das Knirschen heftig krachte,
hätt ich am Tiefpunkt einfach nur gelacht,
ich hielte inne, wär nichts als verzückt,
dein Lächeln träfe,
träfe nur mein blasses Wesen,
wie schön, uns ist ein Coup geglückt!
Verbunden ist sie, ist die schöne Zeit,
(auch wenn's jetzt kitschig wird,
sollt Ihr es lesen)
im Hier und Jetzt und mit der Ewigkeit.
© Gabriele Brunsch
Nein, wir verlieren nicht
die Notwendigkeit etwas zu sagen!
Wir machen nur eine Pause!
Wir verspüren gerade keine Lust
uns in die Menge zu werfen.
Ach, wie schön ist der Rückzug
in die Bibliothek, dorthin,
wo die Schätze stehen,
die lang vernachlässigten,
diejenigen, von denen wir
Morgentau und Sphärenmusik schöpfen konnten,
die uns Hilfe und Nahrung,
Licht und Schatten
gleichzeitig waren,
die niemals still waren,
die uns lockten und verführten,
die uns dorthin entführten,
wo die Fantasie spazierte,
lang, lang bevor uns die Welt regierte,
regierte, regierte, regierte,
malträtierte, zerschmetterte, zerschlug,
uns unsre zarten Bänder aus den Banden schnitt,
hier wo ich litt... ich litt...
Wir sind der Wachmann
unserer eignen kläglich hergezerrten Zeit.
Lass andre rasseln, lass sie lärmen.
Nichts geht ein Stückchen, ach,
nichts geht ein Stückchen weit.
Sind sie nicht gnädig
diese endlos schönen Stunden,
in denen wir ein Wort,
ein kleines Wort gefunden,
das unsre kleine Welt beschreibt.
So wen’ge Worte wiegen, haben Wert.
Die Pause hat der Himmel uns geschickt,
die Wörter stehen grade, unversehrt,
wohin auch immer unser Auge blickt,
sie stehen da, die Wörter, unverrückt.
Und wenn die Zeit
sich an der Zeiten Wende machte,
(verzeih mir Freund, ich weiß, der Reim er klemmt),
doch leider, als das Knirschen heftig krachte,
hätt ich am Tiefpunkt einfach nur gelacht,
ich hielte inne, wär nichts als verzückt,
dein Lächeln träfe,
träfe nur mein blasses Wesen,
wie schön, uns ist ein Coup geglückt!
Verbunden ist sie, ist die schöne Zeit,
(auch wenn's jetzt kitschig wird,
sollt Ihr es lesen)
im Hier und Jetzt und mit der Ewigkeit.
© Gabriele Brunsch
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