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Montag, 10. August 2015

" Das Märchen von der Frage, warum Tag und Nacht nicht zueinander finden..." von Gabriele Brunsch.

Genau in dem Augenblick, in welchem die Sonne über den Horizont kroch, sagte der Tag zum Morgengrauen: „Ist ja schon gut!“, und machte seine Augen ganz auf.
Er lächelte, wie an jedem Morgen. Er würde wieder wunderschön werden. Wie immer.
Er schob eine Nebelbank aus dem Tal. Er würde ein wenig Kühle in die heißen Städte hauchen. Er würde mit dem Wind auf den Wellen des Sees spielen. Er würde Kriegsgetöse hören und einen Vulkanausbruch beobachten. Er würde Licht in die Fenster zu Kindern und Greisen an den Computern schicken. Er würde die Menschen sehen, wie sie arbeiteten, ein jeder an seinem Platz und in den Einkaufspassagen würde er den Leuten beim Eisessen zuschauen.
So würde die Zeit vergehen.
Im Sommer hatte er viel Zeit.
Im Winter eher wenig.
Wenn die Leute sagten: „Das war ein guter Tag!“, durchströmte ihn ein Glücksgefühl. Nicht, dass er für Klagen und Jammern taub war, nein. Aber wenn er so etwas hörte, rief er: „Morgen! Morgen wird alles besser!“, und vertraute ganz auf seine Erfahrung.
Der Tag war ein energiegeladener junger Mann.
An seiner Seite hatte er zwei Wesen, die sich liebevoll um ihn kümmerten. Die eine hieß Morgengrauen und die andere Dämmerung. Vom Kuss des Morgengrauens wurde er allmorgendlich geweckt, die andere legte sich, wenn er müde vom Tagwerk war, zu ihm hin und summte ihn leise in den Schlaf.

Wie der Tag heute die Menschen so vergnügt in den sommerlichen Biergärten sitzen sieht, spürt er plötzlich ein sonderbares Sehnen in seinem Herzen. Warum hatte er denn noch niemals mit Morgengrauen und Dämmerung gemeinsam einige Stunden verbracht?
Er wird nachdenklich: Jahraus-jahrein gab er sich den Zärtlichkeiten der beiden hin. Er hätte niemals sagen können, welche von beiden er mehr liebte. Beide konnten scheu erröten, wenn er sie ansah. Beiden war bisweilen die Stirn dunkel überschattet. Beiden war er zutiefst verbunden.
Als der Tag an diesem Abend der Dämmerung erzählt was ihn so unzufrieden macht, da runzelt diese die Stirn: „Was du dir nicht ausdenkst! Du bist und bleibst ein übermütiger Tunichtgut!“ Gleich kuschelt sie sich eng an ihn und wärmt ihn mit ihrem Körper. Sie lieben sich. Während sie danach vorsichtig das blau-schwarze Seidentuch über seine Augen zieht, summt sie noch ein bisschen. Sie weiß, dass er müde ist. Er wird gleich fest schlafen.
Sobald sie seinen ruhigen Atem hört, lächelt sie und dreht sich langsam herum. Da liegt die junge, schöne Nacht und ruht im gleichen Bett. Die Dämmerung schmiegt ihren Körper an den der Nacht.
„Wach auf, Geliebte!“ , flüstert sie und küsst sie sanft.
Dann vereinigt sich die Dämmerung mit der Nacht.
Schon öffnet die Nacht ihre Augen und der Abendstern und der Mond beginnen sich in ihnen zu spiegeln. Sie schüttelt ihre kohlrabenschwarzen Haare und ihr schwarzes Nachtgewand, so gießt sie schwärzeste Dunkelheit in alle Winkel und Ecken der Welt.
Gleich blinken überall wo Menschen wohnen Lichter auf, unendliche Perlenstränge an leuchtenden Spuren durchfluten die Länder und die Städte werden zu glühenden Flecken.
Die Nacht ist zufrieden, was auch immer sie sieht, was auch immer geschieht, sie weiß, beim nächsten Mal wird es wieder ganz anders sein. Gutes folgte auf Schlechtes. Warmes auf Kaltes. Das ist der Kreislauf der Dinge. Und obwohl sie eine junge Frau ist, so ist sie doch klug und weise und genießt ihre Schönheit im Spiegel der Meere.

Sonderbar ist es schon, dass sie am gleichen Biergarten innehält wie zuvor der Tag und auch sie spürt so ein sehnsuchtsvolles Ziehen in ihrem Herzen. Da sitzen die Menschen heiter zusammen und erzählen sich Geschichten. Wie gerne wäre sie mit Morgengrauen und Dämmerung einmal zusammen gewesen, hätte gemeinsam mit ihnen über ihre Abenteuer gesprochen. Sie beschließt, mit Morgengrauen zu sprechen.
Als die Nacht, müde geworden, langsam in ihr Bett zurück steigt, liegt da schon das Morgengrauen mit weit geöffneten Armen. „Komm“, sagt das Morgengrauen, „Schmiege dich an mich!“. Da vergisst die Nacht von ihrem Wunsch zu erzählen und lässt sich in den Schlaf wiegen.
Als die Nacht ruhig atmet, dreht sich das Morgengrauen im Bett herum. Sie wartet ein kleines Weilchen und beugt sich über den jungen, prachtvollen Tag. So unschuldig liegt er da. Sie schmiegt ihren Leib an seinen und ihre Körper verschmelzen miteinander. Dann küsst sie ihn wach.
„Ist ja schon gut!“, ruft er schließlich ungeduldig und löst sich aus der Umarmung.
„Sag mal! Könnten wir nicht mal zusammen einige Zeit verbringen, du, die Dämmerung und ich. Wir hätten uns so viel zu erzählen!“
„Was du redest!“, ruft lachend das Morgengrauen, „Dämmerung? Wer bitte ist die Dämmerung?“
Was sollte er darauf antworten? Doch da kam die Sonne schon endgültig über den Berg gekrochen. Der Tag vergaß das Morgengrauen und machte sich auf die Nebel von den Hängen zu verscheuchen und Licht in alle dunklen Winkel hinein zu schicken. Er würde heute wieder prachtvoll sein. Vollkommen! Wenn da nicht dieser kleine sehnsuchtsvolle Schmerz in seinem Herzen gewesen wäre.
Da wendet er sich der Sonne zu. Diese schüttelt auf seine Frage hin verwundert den Kopf. „Ach, du dummer Tag! Morgengrauen, Dämmerung! Du weißt ja gar nichts! Du hast eine junge, schöne Gegenspielerin! Es ist die Nacht. Wenn du schläfst, herrscht sie über die Welt und wenn Du dein Tagwerk verrichtest, dann ruht sie!“
„Aber sag, liebe Sonne, kann ich sie nicht kennen lernen?“
Die Sonne sieht ihn sonderbar an. „Was du dir da wünschst, lieber Tag, das ist schon geplant! Aber es dauert noch lang bis dahin! Du musst Geduld haben.“
Der Tag blickt der Sonne erwartungsvoll ins Gesicht.
„Am allerletzten deiner Tage, Tag, wird die Erde in mir verglühen. Dann wirst du gemeinsam mit Morgengrauen und Dämmerung und deiner wunderschönen Widersacherin Nacht verschmelzen. Das verspreche ich dir!“ Während sie das sagt, macht die Sonne eine Fratze und grinst ihn böse an.
„Pffff! Sehr mysteriös, das ganze!“, flüstert der Tag und überlegt sich, ob die Sonne sich vielleicht über ihn lustig gemacht hat. Er ist verunsichert. Dann erinnert er sich an seine Geliebte, die Dämmerung, sie müsste doch etwas von der Nacht wissen. Er wird sie am Abend fragen. Geschäftig legt er sein Licht auf Stadt und Land und vollbringt sein Tagwerk. Er ist zufrieden.
Als er müde und erschöpft an diesem Abend an die Seite der Dämmerung sinkt, spürt er ihre innige Umarmung wie ein heilendes Bad. „Dämmerung, ach, Dämmerung! Wie gut du mir tust!“, murmelt er und genießt ihre weiche Gegenwart. Matt von der Liebe sinkt er zurück.
Während seine Lider immer schwerer werden, flüstert er seiner Dämmerung ins Ohr: „Sag mal, kennst du die Nacht?“ Doch da hat sie schon das blau-schwarze Tuch über ihn gebreitet und lauscht seinem ruhiger werdenden Atem. Dann wartet sie ein kleines Weilchen, bevor sie sich umwendet und ihren liebeswarmen Körper eng an die noch schlummernde Nacht schmiegt: „Wach, auf, Geliebte, es ist Zeit!“

5 Kommentare:

  1. Eine sehr gute Geschichte... und ja, am allerletzten Tag wird es so sein... nur, warum grinst die Sonne nach ihren Worten böse? Habe ich etwas nicht verstanden? Ich habe sie ganz positiv gelesen, harmonisch und in totalem Einklang...

    LG, Edith

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    1. ...ich denke mal, dass sie sich ebenso wie die Dämmerung und das Morgengrauen über den naiven Tag ein wenig lustig macht. Wie kann er denn nur solche dummen Fragen stellen...

      Nix für Ungut...
      Ich freue mich unendlich, dass dir meine kleine Geschichte gefallen hat...

      Alles Liebe dir
      Gabriele

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  2. Lächel, ja gut, belustigt klingt wahrhaftiger als böse... ich weiß, du bist mir nicht böse, wenn ich etwas hinterfrage, deine Geschichte ist einfach zu gut, um darüber nicht zu schreiben...

    Dir auch alles nur Liebe und Gute,
    herzlichst, Edith

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    1. ...böse, ich? Im Gegenteil, ich bin froh, wenn Irritationen oder Fehler entdeckt werden und mir enthüllt! Das ist doch so wichtig - ohne könnte man im Morast von oft "falschen" Lobhudeleien versinken - FB ist voll davon - und kritisiert man, oder wagt es helfend anzumerken, dass die Grammatik nicht stimmt, dass etwas nicht logisch ist, dann wird man ausgepfiffen - angeprangert - aber auch das macht mir nichts aus, weil sich die Betroffenen nur selbst disqualifizieren. Das lässt mich nur lächeln.
      Ich umarme dich inniglich... alles Gute

      Gabriele

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  3. Anonym29/8/15

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