Ode – an die Demokratie
So knabbere ich verzagt
tag um tag, nacht um nacht,
am harten brot des vorwurfs,
ich hielte uneingedenk
dieser übelsten lügen,
blauäugig, kindlich-naiv
fest an dem glauben,
diese, die unsre,
die demokratie,
sei ein starkes gerüst,
gründlich geerdet
prachtvoll verlässlich.
Doch, weit gefehlt!
brüchig sei sie,
dieses schon längst.
porös im gestänge,
morsch, aufgeweicht,
widerwärtig verwaschen,
lächerlich löchrig.
Warum, so heißt es,
siehst du nicht hin,
hältst verschlossen
sinn und verstand,
auge und ohr.
Ich ließe so leicht mich verführen,
glaubte den worten der macht.
Wie sie sich aalen, sich brüsten,
wort um wort hineingefeuert
ins volk, jeglicher satz nur
zum eigenen vorteil verbraucht,
jegliche rede durchschimmernd,
versüßt mit versprechen,
die mit bedacht verschleudert
im sinne des selbsterhalt.
Ich glaube nicht
an das grundsätzlich
gute im menschen, nicht
an das grundsätzlich böse.
ich dachte und denke,
dass jeder augenblick neu,
von innen her drängend,
unmittelbar zwingend,
die handlung bestimmt.
ich dachte und denke,
dass ein jeder mensch neu,
von innen gedrängt,
unvermittelt
die handlung bestimmt.
und während einer
gut und freundlich
hier und dort sein mag,
ist er, in anderem kleid,
ein schänder, verächter.
Gemach, mein freund, hör:
sagte nicht aristoteles schon
so weise und schlicht,
dass es immer
die schwächeren seien,
die nach recht
und gleichheit suchten,
die stärkeren aber
kümmerten sich
gar nicht darum.
Nicht will ich, verzeih,
an diesen strang der erkenntnis
irgendwas flechten und kleben,
ist er doch billigst
durch die jahrtausende
hin zu verfolgen
in den geschichten der zeit,
war so und wird so bleiben,
solange wir menschen,
menschen wie du und ich,
einer gesellschaft begegnen.
er wird, vielleicht, niemals
sich ändern, weil menschen
von menschlichen trieben,
gelüsten, begierden,
versuchungen jedweder art
gesteuert, gelenkt sind.
verstand und gewissen,
moral und vernunft
halten gewiss sie in zaum,
bisweilen, die macher,
doch siegt sichtbar
die sucht nach der macht,
das amt fest im griff
unverwundbar zu halten,
und da, so scheint es,
ist jegliches mittelchen recht,
soweit das die staatsform,
welche ihn sorgsam gebrütet,
mit ihren gesetzen erlaubt.
Vertrauensbruch, eine lüge
sind sie nicht einzig
gerichtlich zu ahnden,
wo ein vertrag existiert,
mit brief und mit siegel,
welche die partner vereint?
Alles gelaber, geprahle,
versprechen, geloben,
kannst in der pfeife du rauchen,
ist konsequenzlos.
dein wüten, dein zorn,
deine trauer, dein unmut,
sinken hinab in den grund
elend gesammelter seufzer.
sinnlos vertan war das hoffen,
wenn du vertrautest,
wenn du nicht selbst
das versprochene gut
mit klarem verstand
auf die waage gestellt
und gefragt:
cui bono - was wäre wenn...
Ist der könig schwach,
werden der günstlinge viele
sich seiner bedienen,
und ist er stark,
werden sie’s ebenso tun.
hofschranzen lächeln
sie schmeicheln und buckeln,
ihr selbst aufgelöst im spiegel
der herrschenden meinung.
fragst nach charakter du,
nach ihrem ureignen ich,
wirst du vergeblich
dich mühen,
denn ihre worte
werden sich biegen,
werden sich weiten,
wollen gefallen.
nur das gefallen
nährt ihren wuchs.
Ist das verzeihlich?
ich denke schon.
kratzt schon der affe
im urwald die pelze
der weibchen,
spielt mit den kleinen,
wenn er als führer,
als lenker sich zeigt.
Meine gesellschaft,
die demokratie,
meine familie,
mein land, mein zuhaus,
möchte geordnet ich wissen,
heil, planvoll, gerade,
aufrecht und edel!
ist’s traum, illusion?
war da nicht vorher
ein stolzer tyrann,
der übersteigert
nur brandspuren legte,
die welt verhöhnte
mit seinem irrsinn,
tausendjährige
reiche versprach
und elend gebar,
mordgruben zeugte,
und das alles
mit ehernen reden
schrill geschmettert,
manisch gehetzte
wahnworte
speicheltriefend,
und überließ nichts
als gepresste verzweifllung
im übermaß?
War da nicht
eine gesellschaft, ein land,
wo alle im gleichschritt
marschierten, skandierten,
gleiches verdienten,
gleiches erstrebten?
aber die menschen
sind niemals gleich,
gleichen sich nicht,
weder an duft noch an größe,
weder an farbe noch haar...
des einen geburt ein fiasko,
des anderen jubel,
des einen liebe,
des anderen leid.
Verführt auch sie,
von worten, versprechen.
an sich selbst glauben,
an das wahre gute,
den besseren menschen.
ideen. ideen. ideen.
in vorgaben und planspielen,
verkümmerten ressourcen
und die glut des geistes
wurde gedämmt hinter
parolen, tiraden
doch wer zweifelte,
dem wurde der zweifel
gewaltsam gelöscht,
der mund versiegelt,
die seele durchleuchtet,
bis selbst die sehnsucht
verkümmert und hoffnung
zu rauem sandpapier wurde,
an dem sich die seele
wundscheuerte,
wenn die erlebniswelt
um einen herum wirbelte,
unerreichbar, unberührbar,
hinter mauern und zäunen.
So knabbere ich verzagt
tag um tag, nacht um nacht,
am harten brot der gegenwart
und lese und höre und zittere,
wer von all jenen
die axt schon hält
um die eiche zu fällen,
die demokratie heißt.
das blattwerk ist schon umwoben
von schädlichen spinnern,
in prozessionen geistern sie
durch das gezweig,
fressen und fressen und fressen
und fressen und fressen…
© Gabriele Brunsch
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