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Sonntag, 30. September 2012

Der Schreibtisch des Dichters (hervorgeholt)


“Der Schreibtisch ist der Ort, 

wo sich die Welt entscheidet.” (Günter Eich)

Der Satz in seiner Konsequenz 
hat nichts von Ruhe, von Beschaulichkeit,
er weist ganz zielgerichtet, weist nach außen,
vom kleinen, scheinbar unscheinbaren Innen
ins weite, unermesslich kalte Draußen.

Auf eine schlichte Weise ist er wahr.

(Er flüstert mir von Kriegen,
von Grausamkeit,
von Folter und von Tod.
Er flüstert mir von Bangigkeit,
von Zucht und Furcht,
von Bitterkeit und Not.)

...von den Ecken, den dunklen,
den Rückzugsgebieten,
Fluchtpunkten,
die einer ausleuchten möchte
mit seinem Feder/Kuli-Strich,
den Menschenzahlen,
die es zu tilgen/zu ergänzen gilt:
traf/trifft bisher ganz andere,
doch wann trifft es ... mich/dich?

...von Beschönigungen,
(wie auch immer)
die hergestellt werden müssen,
weil die wahren Zahlen
nicht ins Raster passen,
oder dieser eine Mensch,
diese eine Gruppe,
diese eine Gemeinschaft,
diese eine Rasse,
diese Farben nicht passen,
ihm nicht passen,
ihnen nicht passen,
nicht passen...

Dort, an diesem Tisch
sitzt einer,
gebisstragend/oder nicht,
mit Colegate-Zähne-Lächeln
auf den Lippen,
ohne/mit Toupet,
gestylt,
zeitmäßig gestählt/oder nicht,
Waschbrett/Wabbelbauch unter
dem gebügelten Hemd,
schön halt,
(weil Macht schön macht)
in jedem Fall mächtig,
perfide mächtig,
und hält den Stift in der Hand,
öffnet die Kladde,
liest und streicht ab.

Und für uns, die wir schreiben?
Was ist er, der Schreib-Tisch?
(wenn nicht das Papier auf dem Knie ist):
Zuflucht, die wir brauchen.

Was entscheiden wir,
da, zwischen Holz und Papier,
oder ist es Monitor und Keyboard,
oder Handy und Welt,
da an dem Tisch,
mit unserer Strich-Stimme -
oder Ton-Stimme …
in Versen?

2008 © ALLE RECHTE BEI GABRIELE BRUNSCH

5 Kommentare:

  1. Dieser Kommentar wurde vom Autor entfernt.

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  2. ...du hast natürlich vollkommen recht, liebe Ursa...wenn wir lyrik schreiben, dann ist das ein teil unserer auseinandersetzung mit unseren tagen, dem erlebten...
    >hier, in diesem gedicht habe ich mich mit EICHs satz auseinandergesetzt, sozusagen einen dialog mit ihm geführt und meine gedanken zu diesem so wichtigen satz geäußert, denn es eröffnete sich mir ein ganz weites universum, das ich nicht unerzählt lassen wollte...


    liebe grüße
    gabriele

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  3. liebe Gabriele, ich lösche dann meinen Kommentar, werde mir heute Abend direktere Gedanken zum Thema machen .... habe irgenwie nicht aufgepaßt ... tschüsssi Ursa

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  4. ja-, was entscheiden WIR denn?
    mit der Macht des Wortes (fast) alles: "Das Wort" kann Menschen zu Göttern erheben, sie fallen lassen, sie zerstören ...egal, wie, wann, wo, egal ob gesprochen oder geschrieben ...!!
    ein kleiner Nachsatz zur Nacht ... Ursa

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